Oberschwingungen

Ein neuzeitliches Problem?
Ganz allgemein verursachen Oberschwingungen stets EMV-Probleme.

Hier ein Beispiel:

In einem Großraumbüro fingen irgendwann die Vorschaltgeräte der Leuchtstofflampen an zu brummen, so dass die gesamte Belegschaft die Arbeit niederlegte, weil das Geräusch den Aufenthalt in diesem Büro zur Qual machte.

Ursache war die Umrüstung der Aufzugsanlage, die von der gleichen Verteilung aus mit Energie versorgt wurde wie die Unterverteilung für die Bürobeleuchtung. Die Wechselrichter der Aufzugsanlage produzierten Oberschwingungsströme deren Frequenz die Eisen der Vorschaltgeräte in den Leuchtstofflampen zum Schwingen brachten.
 


Bild 1: Schematische Darstellung einer Beeinflussung durch Oberschwingungsströme, die irgendwo in der elektrischen Anlage entstehen und sich an einer ganz anderen Stelle auswirken können.

Die Beeinflussung durch Oberschwingungen kann vielfältig sein. In Bild 1 wurde beispielhaft eine mögliche Beeinflussung dargestellt. Bei dem Gerät 1 könnte es sich beispielsweise um die oben beschriebene Aufzugsanlage handeln. Dieses „Gerät“ produziert Oberschwingungsströme Ih, die an der Netzimpedanz ZS einen entsprechenden „Oberschwingungs-Spannungsfall“ Uh verursachen. Dieser Spannungsfall Uh liegt jedoch an sämtlichen elektrischen Betriebsmittel an, die mit der gleichen Netzimpedanz ZS verbunden sind. Auf diese Weise pflanzt sich die Störung in der gesamten Anlage fort und können irgendwo Funktionsausfälle oder gar Zerstörungen hervorrufen.

Oberschwingungen können Brände verursachen, wenn Betriebsmittel, die an sich auf die übliche Netzfrequenz gefahrlos reagieren, durch höherfrequente Ströme überlastet werden.
 
Solche Betriebsmittel können

  • Transformatoren,
  • Kondensatoren (vor allem Kompensationsanlagen),
  • Sicherungen,
  • Filteranlagen usw.

In den letzten Jahren hat sich dieses Problem zugespitzt, weil immer häufiger sogenannte nichtlineare Verbraucher in sämtlichen den elektrischen Anlagen zum Einsatz kommen. Das Problem stellt sich somit nicht nur im industriellen, sondern vermehrt im gewerblichen Bereich (Büro- und Verwaltungsgebäude, Geschäftshäuser, Dienstleistungsbetriebe jeglicher Art u.v.m.).

Dabei sind nichtlineare Verbraucher solche Verbraucher, die bei einer anliegenden sinusförmigen Spannung einen nicht-sinusförmigen Strom aufnehmen. Früher waren dies zumeist die großen Frequenzumrichter-Antriebe u.ä. – heute sind es vermehrt alltägliche einphasige Wechselstromverbraucher. Sie verursachen eine Gefahr, die in den letzten Jahren bereits für Brandschäden gesorgt hat.

Kurze theoretische Einführung
Jede periodische Kurvenform (1) kann nach der sogenannten Fourieranalyse in harmonische Schwingungen unterschiedlicher Frequenz zerlegt werden (Bild 2). Das heißt, jede nichtsinuale Kurvenform ist zerlegbar in zahlreiche Sinuskurven, die sich durch ihre Periodendauer (T)(2) und die Höhe ihrer Amplituden voneinander unterscheiden. Dabei kommt es stets zu einer sogenannten „Grundschwingung“, deren Periodendauer (T1) der Periodendauer der ursprünglichen nichtsinualen Ausgangsschwingung entspricht, und den weiteren „Oberschwingungen“, deren Periodendauer (Tn) um ein Vielfaches kleiner ist als die Grundschwingung: (3)

(1) Periodische Kurvenform können einen rechteckigen, halbrunden, dreieckigen, trapezförmigen usw. Verlauf haben. Periodisch sind sie alle, wenn sich diese Form in zeitlich regelmäßigen Abständen wiederholt. Die uns bekannteste Kurvenform ist die „Sinus-Schwingung“ der Netzspannung – Sinus-Schwingungen werden auch als „harmonische Schwingungen“ bezeichnet.

(2) Periodendauer T ist die Zeit, in der eine Sinusschwingung von Null an beginnt, einen positiven und einen negativen Höchstwert (Amplitude) erreicht und anschließend wieder zu Null wird. Dies ist dann eine volle Schwingung mit den zwei Halbwellen (positive und negativer Halbwelle). Die Beziehung zwischen dieser Periodendauer T und der Frequenz ist: f = 1/T.

(3) Die n-te Oberschwingung hat eine n-fach kleinere Periodendauer

T 1 = T      und ebenso gilt:
Tn = T1/n
– T ist die Periodendauer der (nichtsinualen) Ausgangskurve.
– Tn ist die Periodendauer irgendeiner Sinusschwingung.
– „n“ ist die Ordnungszahl der Oberschwingung - z. B. ist n = 5 für die 5.Oberschwingung  und n = 1 ist die Grundschwingung


Bild 2: Zerlegung einer sogenannten Rechteckschwingung: Periodische Kurvenformen sind stets in Sinus-Schwingungen zerlegbar. Die erste Sinusschwingung ist die, deren Periodendauer T1 gleich der Periodendauer der Ausgangs-Kurvenform ist – sie wird Grundschwingung genannt.


Für die Frequenz (f) bedeutet das:
f 1 = f  und ebenso gilt:

fn = f x n =

  • f ist die Frequenz der (nichtsinualen) Ausgangskurve.
  • fn ist die Frequenz irgendeiner Sinusschwingung.
  • Die Frequenz der Grundschwingung ist f1
     

Besonderheiten der 3. harmonischen Oberschwingung
In einem Drehstromnetz kann man bei symmetrischer Belastung davon ausgehen, dass sich die Außenleiterströme im Sternpunkt sozusagen „zu Null addieren“ - der N-Leiterstrom beträgt in diesem Fall natürlich 0 A. Dies gilt auch für die meisten „Oberschwingungsströme“. Die dritte Oberschwingung mit der Frequenz von 150 Hz (f3 = 3·50 Hz) hingegen wird im Sternpunkt arithmetisch addiert. Das bedeutet, wenn in allen drei Außenleitern ein gleich großer 150 Hz-Strom (der 3. harmonische Oberschwingung) auftritt, wird im N-Leiter ein dreifacher 150 Hz-Strom fließen. Dies führt früher oder später unweigerlich zur Neutralleiterüberlastung.

Die Ursache dieser 150 Hz-Ströme sind vor allem die modernen Netzteile. Die Situation soll beispielhaft an nachfolgendem Bild 3 veranschaulicht werden:

Häufige Ursache für die 3 Oberschwingung: Netzteile ohne Trafo und mit kapazitiver Glättung. Links daneben das Liniendiagramm, aus dem der pulsförmige Strom (IAC), den das Netz liefern muss, dargestellt wird. Oft werden also Netzteile in Betriebsmitteln eingesetzt, die ihre Spannung direkt aus dem Netz beziehen (und nicht über einem vorgeschalteten Transformator). Die dabei aus dem Netz bezogenen Ströme IAC zeigt Bild 3. Die Folge sind Oberschwingungsströme, die schematisch im folgenden Flussdiagramm (Bild 4) aufgezeigt werden:
 

Bild 4: Verlauf der Ströme der Grundschwingung und der 3.Oberschwingung, die in den drei Außenleitern fließen, und der Summe dieser Ströme im N-Leiter. Die Grundschwingungen der drei Außenleiter addieren sich bei symmetrischer Last im N-Leiter zu Null - nicht aber der Strom der 3.Oberschwingung.
 

Eine Analyse der entstehenden Oberschwingungen zeigt, dass die 3. harmonische Oberschwingung bei einem ansonsten symmetrisch aufgeteilten Drehstrom-System derart groß werden kann, dass in Summe im N- (PEN-) Leiter ein Strom entsteht, der unter Umständen doppelt so hoch ist wie der Strom in einem der Außenleiter.

Da der N- (PEN-) Leiter bei größeren Leiterquerschnitten oft einen gegenüber den Außenleitern kleineren Leiterquerschnitt aufweist (maximal hat er den gleichen Querschnitt), ist eine thermische Überlastung und somit eine direkte Brandgefahr vorprogrammiert.

Verbraucher, die einen hohen Anteil an 150 Hz - Oberschwingungen haben sind:
elektronische Vorschaltgeräte (EVG), Dimmer, Computer, Drucker, Kopierer, Radios, Fernseher, Videogeräte, elektronische Steuerungen, Ladegeräte usw.
 

Wie man diesem Problem begegnen kann
Was ist zu tun, wenn ein solches Problem (beispielsweise bei einer Prüfung der elektrischen Anlage) erkannt wird? Hier muss von Fall zu Fall entschieden werden. Ohne Eingriffe in die bestehende elektrische Anlage kann man im Grunde nur versuchen, die Belastung zu reduzieren.
Man senkt die Leistung so weit, bis im N-Leiter ein für ihn erträglicher Strom fließt. Allerdings wird dies in der Praxis kaum möglich sein. Eine andere Möglichkeit wäre, den Leiterquerschnitt der entsprechenden Zuleitung zu erhöhen. In beiden Fällen bedeutet dies jedoch eine Überdimensionierung der Zuleitung in bezug auf die Außenleiterbelastung.

In jedem Fall muss der N-Leiter vor Überlast geschützt werden.

Dazu blieben zwei Möglichkeiten:

1. Möglichkeit: - ohne Entlastungsfilter
a) In allen Fällen gilt: Einen PEN-Leiter stets vermeiden (TN-S-System).
b) N-Leiter müssen gegen Überstrom geschützt werden. Nicht nur die Außenleiter müssen gegen Überstrom überwacht werden, sondern auch der N-Leiter - z. B. durch Leistungsschalter (siehe Bild 5). Wird auch der N-Leiter vom Netz getrennt, müssen zuerst alle Außenleiter abgeschaltet werden. Beim Wiedereinschalten ist der N-Leiter vor den Außenleitern einzuschalten.

 

Bild 5: Außenleiter- und N-Leiterschutz durch Leistungsschalter und Signalisierung an besetzter Stelle


Anmerkung:
Ebenso ist es möglich, den N-Leiterstrom durch Stromwandler zu überwachen und ab einer bestimmten Stromhöhe für die Auslösung eines Schalters (beispielsweise eines Leistungsschalter) zu sorgen, der lediglich die drei Außenleiter vom Netz trennt.

c) Es ist sinnvoll mit einer Meldeeinrichtung anzuzeigen, dass die Anlage    wegen Überlastung des N-Leiters abgeschaltet wurde.
d) Bei der Auslegung der Spannungsquellen, wie Transformatoren, ist die zweifache Wirkleistung der nichtlinearen elektrischen Verbraucher zu berücksichtigen. Darüber hinaus müssen bei der Dimensionierung auch die höheren Verluste, die durch andere als 3. harmonische Oberschwingungen verursacht werden, beachtet werden.
e) Auf eine Reduzierung des N-Leiters sollte stets verzichtet werden (siehe nächster Punkt).
f) Bei der Bemessung der Leitungsquerschnitte ist die zweifache Wirkleistung der angeschlossenen nichtlinearen elektrischen Verbraucher zu berücksichtigen. PEN- bzw. N-Leiter sind mindestens für die Summe der Ströme der 3. harmonischen Oberschwingung in allen Außenleitern zu dimensionieren. Wenn also zu erwarten ist, dass wegen hoher Oberschwingungsströme die N-Leiterbelastung höher liegt als die Außenleiterbelastung, so muss der Querschnitt des Kabels bzw. der Leitung nach der Belastung des N-Leiters ausgelegt werden.

Anmerkung 1:
Wird der PEN- (wenn vorhanden) bzw. N-Leiter für den doppelten, vorstehend ermittelten Außenleiterquerschnitt dimensioniert, ist üblicherweise nicht mit einer Überlastung zu rechnen.

Anmerkung 2:
Da der N-Leiter (bzw. wenn vorhanden der PEN-Leiter) jedoch bei einem hohen Anteil von Oberschwingungsströmen des Nullsystems höher belastet sein kann als die Außenleiter, kommt es dazu, dass für den benötigten Betriebsstrom viel zu hohe Querschnitte verlegt werden müssen. Dies trifft im übrigen auch für die oberschwingungsbelasteten
Außenleiter selbst zu, da die Oberschwingungen Blindleistungen
produzieren. Aus diesem Grund lohnt sich letztlich bei hoher Oberschwingungsbelastung nur der Einsatz eines entsprechenden Netzfilters.
g) Kompensationskondensatoren sind zu verdrosseln, um schädliche Netzresonanzen zu vermeiden. Dabei ist das Ton-Frequenz-Rundsteuersignal (TF) zu beachten.
h) Die Auslastbarkeit von USV-Anlagen kann ggf. durch einen zu hohen Crestfaktor begrenzt werden. Bei ihrer Auslegung sind deshalb die nichtlinearen Verbraucher mit der dreifachen Wirkleistung zu berücksichtigen.

2. Möglichkeit – mit Entlastungsfilter
Eine andere Möglichkeit wäre, in Serie zu jedem oder einer Gruppe von oberschwingungserzeugenden Geräten ein Reihenresonanzfilter zu installieren, das die 50 Hz Grundschwingung durchlässt und für alle anderen Frequenzen, also auch für andere Oberschwingungen,
eine hochohmige Impedanz darstellt.4 In den EVG namenhafter Hersteller in Deutschland geschieht dies bereits bei einer Leistung ab 25 W bzw. 36 W.

Kostengünstiger wäre in vielen Fällen eine zentrale Lösung, die in Bild 6 gezeigt wird.

 

 

Bild 6: Einsatz eines Filters gegen die 3. harmonische Oberschwingung in einem TN-System

Anmerkung 1:
Es handelt sich bei der in Bild 6 dargestellten Lösung um ein Netzfilter, das insbesondere die 3. harmonische Oberschwingung sperrt. Wichtig ist hier, dass man die Stromkreise, in deren N-Leiter dieses Filter eingebracht wird, durch eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung überwacht, da im Fall einer unbeabsichtigten Verbindung des N-Leiters mit dem PE-Leiter das Filter über den PE-Leiter kurzgeschlossen wird und dazu der Strom der 3. harmonischen Oberschwingung über den PE-Leiter fließen würde.
 

Anmerkung 2:
Letzteres gilt nicht für den Fall, dass das Filter im Sternpunkt eingebracht wird (Bild 6 unten). Allerdings sollte man in diesem Fall darauf achten, dass hierdurch die Schleifenimpedanz der Fehlerschleife erhöht wird. Hier sollte durch Messung ermittelt werden, ob die notwendige Abschaltzeiten nach DIN VDE 0100-410 noch eingehalten werden.

Eine Hilfe, um eine Oberschwingungsbelastung des N-Leiters auf einfache Art und Weise zu ermitteln, ist folgende Methode:
Durch eine Messung mittels Zangenamperemeter, das den „Echt-Effektifwert“ anzeigt, werden alle Außenleiter- und der N-Leiter-Strom gemessen.

Es gilt folgende Regel:
Ist der N-Leiterstrom größer als der größte Unterschied zwischen den Außenleiterströmen, liegt wahrscheinlich ein 150 Hz-Problem vor!

Beispiel: IL1 : 187 A, IL2 : 156 A, IL3 : 163 A
             ∆ILmax: 187A -156A = 31A
             IN : 129 A

             N-Leiterstrom nicht durch unsymmetrische Last erklärbar!

Messgeräte, mit denen man Oberschwingungsströme messen kann, sollten vorhanden sein (Bild 8). Bereits relativ preiswerte Messgeräte zur Oberschwingungsanalyse besitzen genormte Schnittstellen zum PC, so dass sich die Messungen mit handelsüblicher Standardsoftware weiterverarbeiten und dokumentieren lassen.

Bild 8: Messungen der Oberschwingungen mit entsprechenden Geräten


Schlussbemerkung:

Ein Umdenken muss stattfinden!
Wie hoffentlich deutlich wurde, ist die Welt heute nicht mehr in Ordnung, solange man in der Elektroinstallation so tut, als wäre alles noch wie früher. Wer hochtechnisierte Geräte und Systeme betreiben will, kann nicht bei der Energieverteilung so tun, als hätte sich in den letzten 50 Jahren nichts verändert. Hier trifft das Sprichwort vom „neuen Wein in alten Schläuchen“ zu.

Bei Vielen muss also ein Umdenken stattfinden. Zunächst einmal beim Betreiber der elektrischen Anlage. Tritt er als Auftraggeber für die Errichtung einer elektrischen Anlage auf, so muss er bereit sein, für fachtechnisch korrekte und zeitgemäße Lösungen einen entsprechenden Preis zu bezahlen. Man kann nicht den schnellen und modernen Sportwagen kaufen wollen und aus Kostengründen beim Fahrwerk auf die Technik der ersten Jahre der Automobilgeschichte zurückgreifen.

Aber auch bei Planern und Errichtern muss ein Umdenken stattfinden. Wer so plant bzw. errichtet, wie er es in den sechziger oder siebziger Jahre gewohnt war, der handelt leichtsinnig.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), bzw. VdS Schadenverhütung in Köln hat dieses Problem erkannt und in Abstimmung mit den maßgeblichen Verbänden bzw. Vereinen (VDE/ABB, ZVEH, VDB, DEMVT u.a.) sowie den Herstellerfirmen versucht, dass Problem von der Basis her anzugehen. Durch eine qualifizierte Ausbildung im Bereich Blitz- und Überspannungsschutz sowie EMV-gerechte Elektroinstallation sollen Planer, Errichter und Prüfer elektrischer Anlagen auf diese Aufgabe vorbereitet werden.

Nur so kann eine Sensibilisierung im Bereich EMV stattfinden; denn ein Problem erkennen, reicht sicher nicht aus - man benötigt auch das Handwerkszeug, sich diesem Problem zu stellen und es zu meistern.